Wir stehen den Kindern und Familien bei

In einem vielbeachteten Interview in den Lokalausgaben der HNA im Schwalm-Eder-Kreis sowie in der Waldeckischen Landeszeitung schilderte Birgitta Priester, Koordinatorin des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes am Standort Fritzlar, was es bedeutet, Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familien zu begleiten. Hier geben wir das Interview, das Redakturin Daria Neu führte, im Original wider. 

Frau Priester, der Tod ist nur schwer zu fassen. Kann man ihn irgendwie fassbarer machen?
Tod und Sterben sind im Vorfeld kaum zu begreifen. Wie man das erlebt, ist individuell sehr unterschiedlich, deshalb kann man auch keine allgemeinen Aussagen treffen. Wichtig ist aber gleich vorab: Unsere ehrenamtliche Arbeit hat nicht tagtäglich nur mit dem Sterben zu tun. Wir begleiten vielmehr das Leben der Kinder und ihrer Familien – das ist an vielen Stellen mit ganz viel Freude verbunden.

Trauer und Freude liegen nah beieinander, was?
Auf jeden Fall. Den Moment der Diagnose hat eine Mutter mal als Weltuntergang beschrieben. Gleichzeitig sagte sie aber auch, dass sie das Leben seither aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Das kann auch etwas Positives sein. Eine andere Mutter, deren Tochter mit zwölf Jahren verstorben ist, hat mal erzählt, die Zeit bis zum Tod sei die schwerste ihres Lebens gewesen – aber gleichzeitig auch die schönste.

Was brauchen die erkrankten Kinder und ihre Familie in dieser Zeit besonders?
Die wünschen sich so viel Alltag und Normalität wie möglich. Sie wünschen sich, dass man nicht die Straßenseite wechselt, weil sie beispielsweise mit einem Kind im Rollstuhl unterwegs sind.

Und die Kinder selbst?
Die wollen einfach im Hier und Jetzt leben. Im Augenblick. Wenn wir vom ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst zu Besuch kommen, stellt das Kind meistens die Frage „Was machen wir heute?“ Und selbst wenn sie nicht in der Lage sind, sich zu artikulieren, so fragen sie es mit ihren Augen.

Wie verstehen Sie als Ehrenamtliche Ihre Rolle in der Familie? Spenden Sie Trost? Geben Sie Tipps?
Wir sind nicht in erster Linie da, um Trost zu spenden. Noch weniger sind wir da, um Tipps zu geben oder uns gar aufzudrängen. Die Eltern sind in dieser Situation die Experten, ihre Wünsche und die der Kinder sind das einzig entscheidende Kriterium.
Es geht darum, da zu sein. Einfach da zu sein, den Familien Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen, nicht wegzuschauen. Dass es Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen gibt, ist für die betroffenen Familien eine Mammutaufgabe – aber auch für uns als Gesellschaft.

Auch die Geschwister haben in dieser schwierigen Zeit eine ganz besondere Rolle, stimmt’s?
Ja, das stimmt. Geschwister erkrankter Kinder sind meistens äußerst reif für ihr Alter. Sie sind unglaublich sozialkompetent und empathisch. Das kranke Kind steht im Familiensystem immer im Vordergrund. Das Geschwisterkind nimmt sich zurück.
Das ist eine sehr schwierige Rolle, aus dieser kann man aber auch sehr stark hervorgehen. Wir sind im Übrigen auch für die Unterstützung des Bruders oder der Schwester da. Manchmal betreuen daher zwei Ehrenamtliche eine Familie, um einfach mal etwas Schönes mit dem gesunden Kind zu unternehmen. Wir begleiten – eben auch die Geschwister. Wir sind die Konstante und der Stabilisator in der Familie.

Sie begleiten, sagen Sie. Wie wichtig ist dabei auch körperliche Nähe? Gerade in Coronazeiten dürfte das schwierig sein.
Ja, die Coronakrise erschwert unsere Arbeit. Nähe ist in normalen Zeiten ganz wichtig. Auch körperliche Nähe. Wenn wir zu Besuch kommen, rennen die Kinder in der Regel auf uns zu, wenn sie es können, wollen uns umarmen. Dass wir dies nun vermeiden müssen, ist ein Paradoxon in unserer Arbeit. Wir halten uns selbstverständlich an die Regeln und haben ein sehr gut ausgearbeitetes Hygienekonzept.
Die Masken machen die Interaktion aber natürlich schwer, die Mimik fällt ja nahezu weg. Das Gute ist: Wir versuchen, über die Augen im Kontakt zu bleiben. Die Augen sind der Spiegel der Seele. Die Kinder spüren, ob man liebevoll zu ihnen ist, auch mit Abstand.

Welche Eigenschaften müssen Ehrenamtliche beim ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst mitbringen?
Achtsamkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften. Außerdem hilft es, sich und seine eigene Kindheit zu verstehen und im Thema Tod und Sterben weitestgehend geordnet zu sein. Und am wichtigsten ist es natürlich, Halt geben zu können.
Wir bilden unsere Ehrenamtlichen nach einem fundierten Konzept aus. Offenheit, Partnerschaft und Integration spielen dabei eine große Rolle.

Welchen Platz haben Ihre eigenen Gefühle?
Die haben ihren Platz und die dürfen wir auch zeigen. Selbstverständlich dürfen wir auch mitweinen. Trauer ist schließlich etwas ganz Tiefes. Übrigens auch etwas ganz Individuelles. Kinder trauern häufig - bildlich gesprochen - in Pfützen. Es gibt Phasen, in denen sie traurig und wütend sind. Dann wiederum kommen ihre Selbstheilungskräfte ins Spiel und sie können sich selbst aus diesem Loch herausholen. Erwachsene hingegen waten in ihrer Trauer oftmals wie durch einen Fluss ohne Ufer.

Welche Unterstützung können Sie der Familie nach dem Tod eines Kindes geben?
Nach der Beerdigung herrscht erst einmal Stille. Plötzlich ist der Alltag mit den ganzen Verpflichtungen, die vorher da waren, weg. Wir Ehrenamtliche kommen natürlich weiter in die Familien, wenn sie es sich wünschen. Manchmal hören wir: „Ihr seid die Einzigen, die sich noch mit uns erinnern.“ Für die meisten anderen Menschen dreht sich Welt irgendwann normal weiter. Für die Familie nie mehr.

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